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Abmahnung vor dauerhafter Sperrung eines Accounts

Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 08.03.2022, Az. 4 U 1050/21


Abmahnung vor dauerhafter Sperrung eines Accounts

Das Oberlandesgericht Dresden entschied am 08.03.2022, dass die dauerhafte Deaktivierung einen Social-Media-Accounts grundsätzlich einer vorherigen Abmahnung des Nutzers bedürfe. Dies gelte auch dann, wenn zuvor bereits mehrere Beiträge des Nutzers gelöscht wurden.

Welche Maßnahmen vor Sperrung eines Social-Media-Accounts sind zu ergreifen?
Der Kläger war Nutzer eines sozialen Netzwerkes. Bei Anmeldung hatte er u. a. den Nutzungsbedingungen, den Gemeinschaftsstandards sowie den Sonderbedingungen der Beklagten zugestimmt. Im Folgenden verlinkte der Kläger auf seiner Profilseite auf insgesamt fünf Videos, u.a. auf drei Videos der Identitären Bewegung. Die Beklagte löschte alle Verlinkungen unmittelbar nach deren Einstellung. Etwas später deaktivierte sie auch dauerhaft den Account des Klägers. Dieser konnte seitdem keine eigenen Beiträge mehr einstellen, fremde Beiträge kommentieren, sich einloggen etc. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass sein Konto dauerhaft gesperrt werde, weil er sich nicht an die Standards hielt. Auf ein außergerichtliches Schreiben vom Rechtsanwalt des Klägers reagierte die Beklagte nicht. Seine u.a. auf Wiederherstellung seines Kontos sowie Unterlassung künftiger Sperren gerichtete Klage wurde durch die Vorinstanz abgewiesen. Hiergegen richtete sich seine Berufung.

Berücksichtigung von Verfahrensrecht
Das Oberlandesgericht Dresden entschied, der zwischen den Parteien bestehende Nutzungsvertrag sei nicht durch die Kündigung bzw. Deaktivierung des Kläger-Accounts beendet worden. Denn die Kündigung des Nutzungsvertrages durch die Beklagte sei unwirksam. Die vorübergehende Deaktivierung sowie die dauerhafte Kündigung erfordern in gleicher Weise eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte. Dabei müsse auch die verfahrensrechtliche Absicherungen Berücksichtigung finden. Die Beklagte müsse vor Ergreifen von Sanktionen zunächst den Sachverhalt aufklären. Das gelte nicht nur für vorübergehende Maßnahmen, sondern erst recht für die dauerhafte Sperrung des Nutzerkontos. Denn in dem Fall seien die Grundrechte des Nutzers in weitaus stärkerem Maße beeinträchtigt als bei einer vorübergehenden Deaktivierung.

Abmahnung zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich
Die Sachverhaltsaufklärung vor einer fristlosen Kündigung werde durch eine Abmahnung sichergestellt, so das Gericht. Die bloße Unterstützung einer Hassorganisation könne eine Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn zuvor eine erfolglose Abmahnung ausgesprochen wurde. Nur wenn die andere Seite die Pflichterfüllung ernsthaft und endgültig verweigere oder besondere Gründe eine sofortige Kündigung rechtfertigen, könne auf die Abmahnung verzichtet werden. Die Beklagte habe auch in Ziffer 4.2 ihrer Nutzungsbedingungen ihr Recht zur fristlosen Kündigung an eine vorherige Abmahnung geknüpft. Eine fristlose Kündigung des Accounts trotz fehlender Abmahnung sei nur dann zulässig, wenn der Nutzer gegen grundsätzliche, im Widerspruch zu den Gemeinschaftsstandards stehende politisch-ideologische Ausrichtung verstößt. Eine dadurch hervorgerufene Zerrüttung des Vertragsverhältnisses wie dies bei "Hassorganisationen" im Sinne der Gemeinschaftsstandards der Fall sei, könne damit eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

Keine individuelle Prüfung erfolgt
Das OLG befand, dass ein solcher Fall aber nicht vorliege. Denn in der Verlinkung auf die Videos liege kein Verhalten, das eine außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung gerechtfertigt. Es sei bekannt, dass die Löschung von Beiträgen im beklagtenseitigen sozialen Netzwerk meistens nicht auf einer individuellen Prüfung, sondern auf eingesetzten Algorithmen beruht. Diese reagieren mehr oder weniger grobschlächtig auf vermeintliche Verstöße und sanktioniere dabei vielfach auch zulässiges Verhalten. Die bloße Löschung eines Beitrages oder einer Verlinkung habe daher nur eine geringe Aussagekraft. Auch der Nutzer könne einer solchen Löschung nicht entnehmen, dass die Beklagte durch eingehende Abwägung der betroffenen Grundrechte zu dieser Entscheidung gelangt sei. Dies gelte vorliegend umso mehr, als der Kläger nach der Löschung eines ersten Beitrages auf andere Beiträge verlinkt habe, die mit dem Erstbeitrag zwar in der Stoßrichtung vergleichbar aber nicht identisch gewesen sind. Worauf die Beklagte den Verstoß gegen ihre Gemeinschaftsrichtlinien gestützt habe, war aus der bloßen Löschung der Links nicht ersichtlich.

Sonstige Unzumutbarkeit nicht ersichtlich
Auch im Übrigen lasse sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen, warum ihr eine Abmahnung unzumutbar gewesen wäre, so das Gericht weiter. Ob in einer bloßen, nicht durch einen befürwortenden Kommentar begleiteten Verlinkung auf einen Videobeitrag überhaupt die Unterstützung einer Hassorganisation im Sinne der Nutzungsbedingungen gesehen werden könne, müsse dabei nicht entschieden werden.

Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 08.03.2022, Az. 4 U 1050/21


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